Das Zeitalter der Glaubensspaltung
Knapp vier Jahre nach der haugischen Besitzarrondierung brach 1525 der große Deutsche Bauernkrieg aus. Franken war eines seiner Zentren, auch Rottendorf blieb nicht unberührt. Zunächst riss man die im Unterhalt wohl als zu kostspielig empfundene Kapelle auf dem Moritzberg ab; ferner wird von Rottendorfs Teilnahme am Zug gegen Kloster Maidbronn berichtet. Dass es sich dabei nicht nur um die Mitwirkung einzelner Einwohner handelte, beweist die Bestimmung des Ortes zum Sammellager textilen Beutegutes. Vermutlich wurden damals auch die gauerstädtischen Güter, seit einigen Jahrzehnten im Besitz der ortsfremden Familie Schrautenbach, verwüstet; denn sie gingen 1530 für weniger als die Hälfte ihres tatsächlichen Wertes an den Heidingsfelder Schultheißen Endres Büttner über, der sie sofort zum gleichen Preis an den Würzburger Kanzler Marsilius Prenninger abgab. Dieser versuchte, die momentane Schwäche des durch den Krieg schwer geschädigten Stiftes auszunutzen und die seinsheimische Politik fortzusetzen, wurde jedoch durch eine Serie von Prozessen mürbe gemacht und veräußerte seinen Rottendorfer Besitz an Lamprecht von Bibra. Der neue Eigentümer, ein unruhiger Geist, erkannte alsbald, dass gegen die haugische Herrschaft im Ort nichts auszurichten war; sechs Monate nach seinem Einzug trennte er sich mit erheblichem Gewinn von der Neuerwerbung. Ein weiterer Besitzwechsel folgte, ehe Stift Haug am 23. Februar 1540 das lang ersehnte Ziel erreichte: Mit dem Ankauf der gauerstadt-schrautenbachischen Höfe war die Periode adlig-weltlicher Konkurrenz in Rottendorf zu Ende, fortan bestimmten rechtlich und ökonomisch allein die haugischen Pröpste.
Dieser neue Zustand ließ sich für Rottendorf gut an. Propst Daniel Stiebar (1536 - 1555), ein ebenso gelehrter wie umgänglicher Herr, mühte sich redlich, die wirtschaftliche Lage der Gemeinde auch zu eigenem Nutzen durch neue Organisationsformen und eine Reihe kluger Verordnungen zu verbessern; seine Weinbergssatzung etwa blieb jahrhundertelang in Kraft.
Vollender seines Wirkens aber wurde sein Nachfolger und Verwandter Erasmus Neustetter, genannt Stürmer, der "letzte Humanist Mainfrankens" (1559 - 1594). In den 35 Jahren seiner Herrschaft erreichte Rottendorf einen wirtschaftlichen, sozialen und verfassungsrechtlichen Aufstieg, der bis ins 19. Jahrhundert hinein unübertroffen und richtungsweisend blieb.
Neustetters Reformen sind vielfältiger Art; dauernden Ruhm in der Ortsgeschichte sichern ihm vornehmlich drei: Als erster Propst ergänzte er 1563 das Ortsrecht um jenen Zusatz, der die Befugnisse von Dorf und Stift in den Forsten der Gemarkung abgrenzte, zugleich aber das Eigentum der Gemeinde an den Waldungen unverrückbar festschrieb. Erstmals unter ihm wurde 1579 das Vorschlagsrecht der Gemeinde bei Besetzung des Schultheißenamtes schriftlich anerkannt, woraus sich alsbald ein freies Wahlrecht generell, das auch die Schöffen erfasste, entwickeln sollte, - ein früher Vorläufer der modernen Gemeinderatswahl.
Erasmus Neustetter
Ebenfalls zu seiner Zeit, zwischen 1566 und 1575, erhielt der Ort die erste Schule. Von den zeitgebundenen Neuerungen des Propstes verdient die Landleitenordnung aus dem Jahre 1573 mit ihren Vorsorgebestimmungen gegen Hochwasserschäden Erwähnung; beachtenswert ist ferner eine Verordnung desselben Jahres, die Leibeigenschaft und Rottendorfer Bürgerrecht für unvereinbar erklärte. Den religiösen Umbruch seiner Zeit, die Hinwendung weiter Bevölkerungskreise zum Protestantismus, betrachtete Neustetter mit Toleranz; gegenreformatorische Maßnahmen ergriff er selbst dann nicht, als seine Rottendorfer Schultheißen die evangelische Lehre förderten, einen Prädikanten ins Dorf beriefen und nurmehr 13% der erwachsenen Einwohner praktizierende Katholiken waren. Selbst tiefgläubiger Katholik, überließ er es gleichwohl seinem Nachfolger, das Dorf mit den zeitüblichen Zwängen zum alten Glauben zurückzuführen (vor 1600). Vierundzwanzig Jahre nach Neustetters weithin betrauertem Tod eskalierte der Religionszwist zum Dreißigjährigen Krieg, der schließlich auch Rottendorf vernichten sollte. 1631 fielen die Schweden in den Ort ein; binnen weniger Monate war ein Drittel der Einwohner ermordet oder verhungert, fünf Jahre später drangsalierten kaiserliche Söldner die Überlebenden, 1639 kamen die Schweden zurück.
Auszug aus dem Gerichtsbuch
der Gemeinde aus dem Jahre 1563
Danach, so glaubte man, sei die Leidenszeit vorbei; der Kriegsschauplatz verlagerte sich in entferntere Gegenden und die schlimmsten Kriegsschäden waren bereits beseitigt, als die Katastrophe über den Ort hereinbrach: Am 27. April 1645 tauchte eine französische Truppe auf, vor der die Einwohner voller Panik nach Würzburg entflohen. Aus einer schlecht verwahrten Feuerstelle entwickelte sich ein Brand, der rasch um sich griff und das halbe Dorf einäscherte. 1648 beendete der Westfälische Friede den ersten gesamteuropäischen Krieg. Rottendorf stand vor dem Nichts: Häuser und Habe waren zerstört, Saatgut und Vieh geraubt, ganze Familien ausgerottet, die jungen Männer gefallen. Obrigkeitliche Hilfe war nicht zu erwarten, da Stift Haug selbst finanziell ruiniert war. Den Wiederaufbau, wie er eine knappe Generation später in Urkunden ersichtlich wird, schafften demnach die Überlebenden und zahlreiche Neubürger, die nun bereitwillig aufgenommen wurden, aus eigener Kraft. Doch es wirft ein bezeichnendes Licht auf die desolaten Vermögensverhältnisse, wenn noch nach Jahren um geringwertige Gerätschaften, die unter dem Schutt gefunden wurden, erbitterte Prozesse liefen. Immerhin konnten alsbald Kredite aus der Zeit vor den Schwedeneinfällen wieder zurückgezahlt, kleinere Summen vererbt oder der Kirche gestiftet werden. Man bemühte sich, zu geordneten Verhältnissen zurückzufinden und für die Zukunft vorauszuplanen. So wurde noch in der Aufbauphase vier Jahre nach Kriegsendeam 29. August 1652 die allgemeine Schulpflicht für Rottendorfer Kinder eingeführt und mit hohem Bußgeld bewehrt.
Das Verfassungsleben dieser Zeit entwickelte sich auf der unter Neustetter vorgezeichneten Linie dynamisch weiter. Die Wahl des Schultheißen und der Schöffen durch die Gerichtsmitglieder als Repräsentanten der Gemeinde wurde nun zur Angelegenheit aller Vollbürger; von dem ursprünglichen, verpflichtenden Vorrecht der 3. bis 6. Hube auf vier von zwölf Schöffenstellen findet sich nichts mehr. Das gestiegene Selbstbewusstsein der Einwohner äußerte sich in dem Wechsel vom dörflichen Begriff "Nachbar" zur städtischen Bezeichnung "Bürger" (ab 1628), auch die früheren Bauermeister erscheinen nun kontinuierlich unter dem Titel "Bürgermeister" (erstmals 1574, regelmäßig seit 1602). Architektonischer Ausdruck dieser neugewonnenen Affinität zur Stadtverfassung wurde der Bau eines Rathauses, das den Fronhof als Amtssitz ablöste (urkundlich seit 1609 nachweisbar).
Den wirtschaftlichen Aufstieg in der letzten Phase der Nachkriegszeit dokumentiert die Vielzahl besoldeter Gemeindeämter. Neben den Gerichtspersonen, denen ab 1671 eine Aufwandsentschädigung für ihre bis dahin ehrenamtlich zu erfüllende Tätigkeit gewährt wurde, kamen Lehrer, Büttel, Hirt, Schmied und Bäcker in den Genuss neuer Vergütungsregelungen, die offenbar lukrativer waren als andernorts, da häufig Meister ihres Fachs bei fremden Gemeinden abgeworben werden konnten. Unbesoldet blieben dagegen die "Feuerleffer", Jungbürger aus den führenden Familien, die sich in der Feuerwehr die Sporen für die spätere Übernahme leitender Ämter verdienten.Das Bild allmählich konsolidierter Verhältnisse rundet sich ab durch die Nachricht, dass die überwiegende Mehrzahl der Rottendorfer Familien bereits 1662 wieder in der Lage war, mit hohen Spenden zur Anfertigung eines Marienaltars in der Pfarrkirche beizutragen.Mit der Anlegung eines neuen Gerichtsbuches unter Propst Johann Hartmann von Rosenbach wurde die Vergangenheit am 25.08.1671 auch verwaltungstechnisch abgeschlossen.
Erhard Wittmann,
Schöffe des Dorfgerichts,
mit Familie in Festtracht.